Isabelle Tschugmall kündigte ihren Job in der Finanzbranche, um in Afrika den Umgang mit Wildtieren zu lernen.
Nun arbeitet sie als Safari-Guide in Botswana.
Die Exotin, die Furchtlose, die Verrückte: Das sind Zuschreibungen, die Isabelle Tschugmall regelmässig hört. Bei einem früheren Arbeitgeber hiess es, sie lache zu oft und zu laut.
Spätestens da wusste die Zürcher Oberländerin, dass sie im falschen Film war. Nach fünf Jahren in verschiedenen Funktionen bei der Zürcher Kantonalbank war sie teilzeitlich im Marketing einer Pharmafirma tätig und studierte daneben Kommunikationswissenschaften.
Und auch sonst war alles perfekt aufgegleist, der Partner, die Wohnung in Rüschlikon ZH, die Aussicht auf Familie. Da spürte Tschugmall zum ersten Mal, dass sie nicht in diesem goldenen Käfig bleiben wollte. Die damals 25-Jährige schrieb sich für ein Auslandsemester in Peking ein und lebte in der fremden Metropole mit 30’000 Studierenden auf einem Campus.
Unglaublich allein habe sie sich gefühlt in den ersten Tagen, aber auch befreit. Sie konnte wieder atmen und merkte: Sie kann mehr, als sie dachte. Und es findet sich immer ein Weg.
Ein Buch brachte die zündende Idee
Zwei Jahre später war Tschugmall als Produkt- und Marketingmanagerin eines Zürcher Finanzdienstleisters tätig. Das Team war gut, die Arbeit nicht uninteressant, aber wenn sie ehrlich war, langweilte sie das alles grausam. Ein perfektes Leben, nur fand sie darin nicht wirklich statt.
Als sich nach einem Treffen mit ihren früheren Studienkollegen aus China in Berlin der Rückflug nach Zürich verspätete, fiel ihr am Flughafen ein Buch in die Hände, das perfekt ihre Situation beschrieb. Autorin Gesa Neitzel beschrieb im ersten Teil ihres Buchs «Frühstück mit Elefanten: Als Rangerin in Afrika», was sie alles vermisst hatte in ihrem geordneten Leben in Deutschland: das Spontane, die Abenteuer, den Zugang zu den eigenen Emotionen.
Sie war schlicht überwältigt von dieser Natur, die nichts von ihr erwartete und sie so viel lehrte.
Tschugmall verschlang das Buch und dachte zuerst: Wie kann jemand so mutig sein? Und kurz darauf: Das will ich auch. Sie nahm Kontakt mit der Autorin auf, erfuhr von einem Ausbildungscamp für Safari–Guides in Botswana und meldete sich wenige Tage später an. Von Afrika und Wildtieren hatte sie zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung. Als sie ihren Eltern von ihrem Entschluss erzählte, brach ihre Mutter in Tränen aus, und der Vater sagte kein Wort.
An den ersten beiden Ausbildungstagen wusste Tschugmall selber nicht, was sie genau suchte «im Busch», als einzige Frau und einzige Europäerin. Doch dann war sie schlicht überwältigt von dieser Natur, die nichts von ihr erwartete und sie so viel lehrte.
Ein Leben in Lehmhütten
Erstmals hatte sie das Gefühl, sie müsse nicht Leistung erbringen, niemandem gefallen, sondern dürfe einfach sich selber sein, auf ihren Bauch hören und lernen. Tschugmall trennte sich von ihrem Partner, löste die Wohnung in der Schweiz auf, verkaufte praktisch all ihr Hab und Gut und lebte fortan in einem Zelt auf dem Autodach oder in Lehmhütten in Botswana.
Als sie in Zürich vor drei Jahren einen ersten Vortrag über ihre Tätigkeit als Safari-Guide hielt, kamen mehr als hundert Interessierte. Mehrere Gäste wollten noch am gleichen Abend eine Safari bei ihr buchen.
«Wenn dich ein Löwe anschaut, merkst du sofort, wie klein und abhängig du bist.»
Es war der Startschuss zu ihrer Unternehmerlaufbahn. «Viele Teilnehmer interessieren sich nicht nur für die Tierwelt oder die Landschaft, sondern sie suchen ihr inneres Feuer, den verschütteten Zugang zu ihren Emotionen», sagt die Zürcherin. Wenn man gemeinsam in der Natur unterwegs sei, öffneten sich viele Kanäle. Und man nehme sich selber nicht mehr so wichtig.
«Wenn dich ein Löwe anschaut, merkst du sofort, wie klein und abhängig du bist.» Sich selber in der Natur zu verorten – «und zwar zuunterst in der Nahrungskette» –, sei ein befreiendes Erlebnis und mache demütig, sagt Tschugmall. Sie selber habe in Afrika ihr Urvertrauen wiedergefunden. Sie erlebe jeden Tag gefährliche Momente, fühle sich dadurch aber nicht in Gefahr, sondern lebendig.
Corona macht ihr einen Strich durch die Rechnung
Als Anfang März 2020 die Corona-Pandemie ausbrach, waren Tschugmalls Safari-Reisen bis Ende Juli praktisch ausgebucht. Sie mussten allesamt abgesagt werden. Glücklicherweise hatte sie kurz zuvor einen Investor an Bord geholt. Um die Angestellten in Botswana nicht entlassen zu müssen, strich sich die 32-Jährige ihren Lohn und nahm verschiedene Marketingmandate an.
Auch 18 Monate später ist die Planung schwierig. Die Einreisebestimmungen können sich von Woche zu Woche ändern. Tschugmall hat sich insofern abgesichert, als sie mit einem Bein wieder in der Finanzbranche tätig ist. Mit den Kollegen, für die sie früher strukturierte Produkte und ETF-Fonds beworben hatte, arbeitet sie seit März für die Global Green Xchange, eine auf nachhaltige Anlagen spezialisierte Informations- und Bewertungsplattform.
Vom Sexleben der Tiere lernen
Daneben betreibt sie mit ihrer Schwester ein Hilfswerk, das Frauen in Botswana in Notlagen unkompliziert unterstützt.
Und weil sie sich geschworen hat, in Zukunft immer ihrem Herzen zu folgen und primär Dinge zu tun, die ihr selber Spass machen, hat sie mit einer befreundeten Sexologin die Vortragsreihe «Sexari» lanciert. An diesen Themenabenden lernen die Besucherinnen und Besucher viel über das Sexualverhalten der Tiere – und entdecken manchmal überraschende Parallelen zum Menschen.
Ihr grösster Luxus sei, dass sie heute keinen Erwartungen mehr genügen müsse, sagt Isabelle Tschugmall und ergänzt: «Es gibt ohnehin niemanden in der Schweiz, der etwas Ähnliches macht und mit dem man mich vergleichen könnte.»
Mathias Morgenthaler war Wirtschaftsredaktor bei Tamedia und ist heute als Autor, Coach und Referent tätig. Er ist Autor der Bestseller «Aussteigen – Umsteigen» und «Out of the Box» und Betreiber des Portals www.beruf-berufung.ch